An mein geliebtes Kind

Ich sah dich mit zitternden Knien und Herzrasen im Ultraschall-Display, nachdem ich deine geheime Einschleichung auf dem positiven Schwangerschaftstest festgestellt hatte. Mir war von Anfang an klar, dass ich dich nicht behalten werde. Vier Geschwister hast du bereits, eine Mama, die erst wieder im Berufsleben steht und sowieso schon oft am Limit mit ihren Kräften ist, und einen Papa, der den ganzen Tag bei der Arbeit ist und abends total gestresst nach Hause kommt. Wie sollte ich die Schwangerschaft meistern? Habe ich doch keine Ruhe, mich fünf Minuten hinzusetzen und zu ruhen, da deine Geschwister an mir zerren und mir alles abverlangen. Müde und überfordert würde ich laut werden und schreien und alles an deinen Geschwistern auslassen. Deine kleinen Brüder sind doch auch noch Windelpopos und brauchen meine ganze Aufmerksamkeit. Nein, sie brauchen meine ganze Kraft – ich brauche meine ganze Kraft. Wer denkt an mich? Ich bin doch keine Maschine, obwohl ich mir manchmal wünschte, eine zu sein – für dich!

Wie sollte es werden, wenn du da bist?

In meinen Armen solltest du dich geborgen fühlen, wie jedes von deinen Geschwistern. Mit dir zusammen im Bett liegen und kuscheln, deinen Geruch tief einatmen und spüren, wie dich mein Atem und Herzschlag ruhiger werden lässt.

Ich sah dich auf dem Ultraschall, wir waren zusammen in der 10. Woche. Alles konnte ich an dir sehen! Deinen kleinen Kopf, der förmiger wurde, Deine Zappelbeinchen, deine Hand, die wirkte, als würdest du mir zuwinken, weil du genau gespürt hast, dass ich dich genau jetzt beobachte. Und was ich ganz deutlich sah: dein regelmäßig schlagendes Herz.

Im Kopf habe ich alle Varianten des alltäglichen Lebens mit dir durchgespielt. Was wäre, wenn…? Ich möchte niemals anzweifeln, dass ich mich auf dich gefreut hätte, ich möchte niemals anzweifeln, dass ich dich behütet und beschützt hätte und du stundenlang von mir abgeknutscht worden wärst. Dies wäre ein Versprechen für dich gewesen. Doch am eigentlich sichersten Ort, den es für dich gab, habe ich dich im Stich gelassen!

Glaube nicht, dass deine Mama nicht gelitten hat! Du konntest bestimmt ihre Angst, ihre Verzweiflung, ihre Tränen und Schreie fühlen und hören, als deine Mama mit dir in den OP-Saal geschoben wurde. Dein kleines Herz muss fürchterliche Qualen erlitten haben, denn was für dich ausschlaggebend war zur Unruhe und Sorge – nicht das Drumherum, nicht die fremden Menschen: deine Mama, wie Sie Höllenqualen durchlebt.

Deine Mama hat sich von der Fixierung losgerissen, um ihre große warme Hand auf Dich zu legen. Um mit dir Kontakt zu halten, um sich zu verabschieden. Um Lebewohl zu sagen. Deine Mama bekam kaum Luft von dem ganzen Weinen und Zittern und Schreien.

Und im allerletzten Moment, entschloss ich mich: WIR kämpfen! Du sollst bei mir bleiben! Stopp, stopp, stopp!…

Zu spät.

Die Narkose kam in vollem Rausch…Und Deine Mama schlief ein…Und wachte wieder auf…OHNE DICH!

Es war ein regnerischer Tag, als wir zusammen im Krankenhausbett lagen. Und als ich ohne dich das Krankenhaus wieder verließ, schien die Sonne, es war warm…Aber etwas fehlte. Jemand fehlte. Du…DU FEHLST MIR!

Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich läge nicht den ganzen Tag im Bett und kümmere mich um deine Geschwister. Spiele und tobe mit Ihnen. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, mir geht’s gut, alles ok, das Umfeld ist auch noch da.

Ich liege im Bett mit Heulkrämpfen, mit Unterleibskrämpfen, mit Blutungen. Das alles ist nicht der Rede wert. Aber eins ist der Rede wert…

Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, mein Herz ist nicht gebrochen.

(Laura)

Eine mit dem Smartphone telefonierende Frau sitzt an einem Schreibtisch vor einem silbernen Laptop

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