Sehnsucht nach der „kleinen Blaubeere“

Ich möchte euch gerne die Geschichte über meine Abtreibung nahebringen, weil viele von euch vielleicht gerade an dem gleichen Punkt sind.

Im Oktober’19 wartete ich vergeblich auf meine Tage. Abends bin ich mit einer Freundin unterwegs gewesen, und wir haben darüber geredet. Wir beschlossen: Wenn ich sie in vier Tagen nicht bekomme, mache ich einen Test.

Nun ja – es war Freitagmorgen, ich war aufgeregt. Der Test war positiv! Binnen einer Sekunde wurde alles auf den Kopf gestellt. Unsicherheit breitete sich aus – aber dennoch war ich glücklich. Ein Lebewesen in mir, das mich braucht, das aus Liebe entstand.

Ich schrieb meinem Freund, dass ich meine Tage immer noch nicht habe, dass wir abends reden müssen und ich Angst habe. Er antwortete nur: „Da wird nichts sein, alles gut.“ Ich zerbrach mir den Kopf: Wie sage ich ihm bloß, dass ich schwanger bin? Ich hatte große Angst vor seiner Reaktion. Während des Gesprächs ließ ich es zwar irgendwie durchsickern, konnte es ihm aber nicht direkt sagen. Doch er verstand: Auf dem Rückweg vom Restaurant sagte er, er wolle das Kind nicht, er sei nicht bereit. Möchte das alles gar nicht nach zwei Monaten Beziehung.

Ich schmiss ihn zu Hause raus und machte an dem Tag zehn weitere Tests – doch das Ergebnis blieb dasselbe. Ich lag die ganze Nacht über wach und setzte mich mit allen Szenarien auseinander: Abtreibung? Behalten?

Alles durchgelesen im Internet.

Videos angeschaut, dachte, es wäre das Beste.

So ging es weiter…jeden Tag alles durchgeplant…ich hatte Angst!

Habe geweint…habe meine Eltern nicht gesehen.

Als ich beim Frauenarzt war, hatte ich ein komisches Gefühl. Ein Gefühl von Angst und gleichzeitig Glück. Ich saß auf dem Stuhl und sah plötzlich mein kleines Wesen. Es war erstmal nur eine Blase zu erkennen, trotzdem habe ich mein Kind schon geliebt. Die Frauenärztin hat gefragt, ob ich mein Baby behalten möchte. Ich habe geweint und antwortete, dass ich das nicht weiß. Dass ich überfordert bin.

Zwei Wochen später fragte sie mich erneut und ich antwortete ihr, dass ich das Kind nicht behalten wolle. Ich war mir sicher, sicher, MEIN Lebewesen „wegmachen“ zulassen. Mein Freund und ich hatten viel Stress, haben diskutiert. Das Gefühl von Einsamkeit hat mich so sehr geplagt, dass ich meinte, keine Luft mehr zu bekommen.

An einem Sonntag bin ich zu meinen Eltern gefahren, und eine schlimme Angst erfasste mich. Meine Worte waren: “ Mama, Papa, ich muss euch was sagen. Ich bin schwanger, und es tut mir leid, euch das sagen zu müssen, aber ich werde meine kleine Blaubeere nicht bekommen, ich kann es nicht. Ich kann meinem Baby nichts bieten.“ Ich sah meine Eltern, von einem Grinsen brachen sie in Tränen aus. Noch nie habe ich meinen Vater und meine Mama so gesehen.  Ihr Enkelkind, das sie nie kennenlernen werden.  Meine Mama meinte, dass sie beide für mich da sind, egal, was passiert, sie sind da!

Am 13.11. sollte der Abtreibungstermin sein. Ich war mir sicher – ich war mir unsicher.

Mit Mama bin ich zum Vorgespräch der Operation gegangen. Ich war Anfang der achten Woche. Wir haben mein Wesen gesehen, das kleine Wesen, gesehen, wie ein ganz kleiner Herzschlag da war.

Mir war übel. Habe gekotzt. Ich hatte Muttergefühle, Gefühle wie eine Mama. Sprachlosigkeit war das Erste an der Tagesordnung.

Am Tag der Abtreibung musste ich morgens zwei Tabletten nehmen, die ich immer und immer wieder ausgespuckt habe. War das ein Zeichen? Sollte ich doch nicht hin?

Doch ich hörte nicht auf mein Bauchgefühl und bin in die Praxis gefahren. Saß da, habe gewartet. Gewartet auf eine Operation, bei der mir ein Stück Frau genommen wurde. Ich habe mich umgezogen, bin in den Op-Saal gegangen. Lag da. „Sie brauchen keine Angst haben, wir sind die ganze Zeit bei Ihnen.“ Und schon war ich unter Vollnarkose.

Ich bin aufgewacht, zwischen meinen Beinen war alles nass. Ich habe geguckt, was es war, es war mein Blut. Ich habe so sehr geblutet. Eine Schwester kam auf mich zu, und ich fragte sie, ob mein Baby jetzt wirklich weg ist. „Ja, es ist nicht mehr da.“ Für mich brach eine Welt zusammen, was hatte ich getan? Wieso hatte ich das getan? Ich habe so sehr geweint, habe mich angezogen, hatte Schmerzen.

Ich saß alleine im Warteraum, es kamen keine Tränen, es kam Hass… Ich habe mich gehasst dafür. Sprechen wollte ich nicht wirklich. Für mich hatte in diesem Moment Priorität, wie ich mein Baby wiederbekomme. Ich musste mich beruhigen, denn es würde nie wiederkommen, das musste ich mir immer wieder selber sagen.

Zwei Wochen später sagte mir eine Freundin, sie sei schwanger und möchte es nicht behalten, also stand ich das ganze Prozedere mit ihr noch einmal durch, ich war stark für sie. Einen Tag nach der Info meiner Freundin erzählte mir eine weitere Freundin, dass sie schwanger sei. Sie und ihr Freund hatten sich nichts sehnlicher gewünscht als das. Ich freute mich für sie, aber gleichzeitig war es schwer für mich. Ehrlich gesagt, es hätte nichts schwerer sein können als das.

Inzwischen sind vier Monate vergangen. Vier vergangene Monate mit vielen Tränen. Ich habe es noch immer nicht verarbeitet. Es ist das Schlimmste, das ich je getan habe. Ich könnte mir nichts Besseres vorstellen, als jetzt eine Kugel mit mir herumzutragen, ein Babyzimmer einzurichten…Die Fragen, die mir im Kopf herumschwirren, sind teilweise so schlimm, dass mir die Tränen kommen: Welches Geschlecht? Welchen Namen hätte ich ausgesucht? Was würde ich gerade tun? Ja, nach vier Monaten wünsche ich mir nichts sehnlicher als mein Baby in meinem Bauch. Mit meinen Freundinnen spazieren zu gehen, und wir sind alle schwanger. Mein Kind hätte die besten Voraussetzungen im Jetzt gehabt. Leider habe ich das alles zu spät gesehen und bereue es. Bereuen ist das Schlimmste, gerade, wenn es das eigene Kind ist. Mir tut es weh, unheimlich dolle.

(Lotta)

Eine mit dem Smartphone telefonierende Frau sitzt an einem Schreibtisch vor einem silbernen Laptop

Wir helfen Dir weiter –
melde Dich bei uns!

Du kannst uns jederzeit erreichen *:

0800 36 999 63 (kostenlos)

oder

per E-Mail: kontakt@vita-l.de

Wenn Du uns eine E-Mail schreibst, überprüfe bitte auch Deinen SPAM-Ordner, da unsere Antwort möglicherweise dort landen könnte.

* Von 0 – 6 Uhr Anrufbeantworter – wir rufen auf Wunsch zurück.

toggle icon